Biomechanik und Reitsport

verfasst am 09.03.2022

kurzer Gedankengang – man könnte so viel mehr dazu sagen…

Mir liegt dieses Thema schon länger auf dem Herzen aber da ich kürzlich ein Video eines Pferdes mit massiver Trageerschöpfung gesehen habe, versuche ich doch einmal meine Gedanken zum Reitsport und der Biomechanik der Pferde in Worte zu fassen. Ich bin erschrocken über die Videos von hohen Klassen in der Dressur wo Pferd-Reiter-Kombinationen mit ihrem Ritt (die ich eher unter „Fail oft he Week“ oder „bestes Beispiel wie man es nicht tut“ kategorisiere) Siege erringen. Oder Diskussionen ob Gewalt gegenüber Pferden jetzt im Rahmen der Leitlinien verboten ist oder ob das vielleicht doch noch irgendwie als rechtens durchgeht (z.B. Thema Tochieren/Barren). Bei Olympia im Fünfkampf wird wegen Frau Schleu aufgeschrien (zurecht)aber auf dem heimischen Reitplatz drüber hinweggesehen. Irgendwie schon etwas abartig, was viele Pferde heutzutage erdulden müssen bis sie gänzlich abstumpfen oder als Problempferd von Trainer zu Trainer wandern.

Ich habe wie vermutlich viele in einer FN Reitschule im Gruppenunterricht als Kind das Reiten gelernt. Später konzentrierte ich mich auf die Westernreiterei bei der EWU bis hin zum Trainerschein. Ich habe mir nie mehr Gedanken darüber gemacht, wie ein Pferd funktioniert, da ich das Gelernte für sinnvoll und richtig hielt bis mich mein Pferd auf den Irrtum hinwies. Kurz zusammengefasst war dies Folgendes: Das Pferd muss vorwärts laufen, mit den Hinterbeinen untertreten, je weiter desto besser, der Kopf muss tief damit sich der Rücken dehnt. Das Nackenband spannt sich samt Oberlinie auf und der Widerrist dient quasi als Umlenkrolle. Je tiefer der Kopf bei weit untertretendem Hinterbein, desto besser der positive Spannungsbogen. Klingt ja erstmal sehr logisch wenn man das Pferd so sieht.

Eines der signifikantesten Unterschiede zum menschlichen Skelett ist das fehlende Schlüsselbein. Diese Tatsache ist vielen durchaus bekannt, aber was genau es für die Biomechanik des Pferdes bedeutet eher nicht. Der Brustkorb des Pferdes ist über Muskulatur und Bindegewebe gestützt, also nicht wie bei uns am Skelett aufgehängt. Das heißt auch, dass der Widerrist (die Dornfortsätze der Brustwirbelsäule) und der Brustkorb bei Reitergewicht, außer durch die Muskulatur, keinen Halt haben und nach unten gedrückt werden. Bei dem Vorwärt-abwärts, so wie es mittlerweile nahezu überall gelehrt wird, sinkt der Brustkorb durch die tiefe Kopf-Hals-Haltung zusätzlich ab. Für den positiven Spannungsbogen wird dann noch ordentlich vorwärts geritten und durch die entstehende Schubkraft noch mehr Druck in den ohnehin schon abgesackten Brustkorb gegeben. Die vermeintliche Balance des Pferdes entsteht über Geschwindigkeit. Wenn ich jetzt noch auf die Idee komme, den tiefgerittenen Kopf beizuzäumen , schränke ich sowohl die Atmung als auch das Sichtfeld des Pferdes ein. Der beste Weg in eine Trageerschöpfung.

Ebenso stört mich das Wort Anlehnung. Das Pferd wird an das Gebiss herangeritten und der Reiter hat eine konstante Verbindung zum Pferdemaul. Im Grunde halte ich den Schwung aus der Hinterhand des Pferdes mit meinen Händen fest. Oft sieht oder hört man von Pferden, die sich aufs Gebiss legen. Warum die das tun? Irgendwo müssen sie sich ja festhalten, wenn die Geschwindigkeit sie sonst zum Stolpern bringt. Bei dieser Handhabung übt das Gebiss Druck im Maul aus und entweder geben sie nach teils bis hin zum Aufrollen, machen sich fest und stützen sich auf die Reiterhand oder stumpfen einfach ab. Am besten bindet man sie noch aus oder erzwingt durch andere Hilfszügel diese Körperhaltung. Dem Pferd helfen die Hilfszügel aber sicherlich nicht. Es ist so wichtig zu fühlen, was vorne passiert, da es uns nur erklärt, was im Körper des Pferdes passiert. Als ich das verstanden habe, war für mich im Übrigen auch der Entschluss gewesen, meine Pferde nur noch im Bosal zu reiten, damit ihre Disbalance nicht noch Schmerzen im Maul verursachen. Das ist meine persönliche Entscheidung und damit möchte ich grundsätzlich keine Gebisse verteufeln.

Das von der FN gelehrte V/A kommt aus der HD.v.12. Dort wurde das V/A für Pferde genutzt, die mit Hirschhals durch die Gegend liefen (auch Sternengucker genannt). Dieses V/A war allerdings niemals tiefer als Buggelenk.

Stell dir vor, du balancierst auf einer Stange oder einem dünnen Seil, du versuchst über deine Arme die Balance zu halten um bis zum Ziel zu kommen. Mit ausgestreckten Armen funktioniert es gut und du kannst dich ausgleichen. Jetzt stell dir vor, jemand kommt zu dir und bindet deine Hände an deinen Körper. Das hilft dir doch nur, immerhin schwankst du dann weniger durch eine bessere Körperhaltung. Würdest du immer noch über das Seil balancieren können und vor allem wollen? Bekommst du vielleicht Angst wenn du dein Gleichgewicht verlierst?

Fühlt dein Pferd vielleicht ähnlich?

Wie man auf diesem Weg einen Zustand erreichen möchte, bei dem das Pferd sich selbst und den Reiter trägt, ist mir ein Rätsel. Aber gut, viele Wege führen nach Rom – manche sind halt besser und manche schlechter. Ich muss meinem Pferd nur ins Gesicht sehen, um zu wissen womit er sich wohler fühlt. Diese Körperhaltung geht auch auf die Psyche des Pferdes und das, obwohl die meisten (zumindest ich) Pferde mitunter aufgrund ihres Stolzes und ihrer Anmut lieben. Ein stolzes, anmutiges Pferd ist aber mittlerweile leider selten zu treffen und wenn, dann sicherlich nicht auf einem Turnier.

Es gibt so einfache Mittel wie z.B. Seitengänge um sein Pferd gut zu reiten. Manchmal hilft es auch einiges Equipment wegzulassen um zu sehen, was noch übrig bleibt. Wissen über korrekte Biomechanik sorgt meist auch schon für logische Konsequenzen das Reiten betreffen.

Wir wollen alle eine schöne Zeit gemeinsam mit unserem Pferd verbringen, da ist es doch nur fair, wenn unser Pferd die Zeit mit uns auch genießen darf.

(Leider ist das Thema nur oberflächlich angekratzt, da es sonst jeglichen Rahmen sprengen würde.

Es ist spät, ich bin müde – keine Gewähr mehr auf Rechtschreibfehler oder falsche Kommata etc 😉 )